Klimawandel als Fluchtursache

Am Freitag, 25.September 2020, fand in Schrobenhausen unter dem Titel „Globaler Klimastreik – #KeinGradWeiter“ eine Kundgebung statt, organisiert von den Schrobenhausener Parents4Future. Hans Kriss sprach als Vertreter der Offenen Türen über das Thema „Klimawandel als Fluchtursache“ und rief damit – wie die anderen Redner*innen und Plakatemaler*innen der Kundgebung – zu intensiven Anstrengungen auf, um den Klimawandel, der längst im Gang ist, aufzuhalten.

Klimawandel als Fluchtursache

Wenn wir in Europa von Flucht und Fluchtursachen reden, geht es in den allermeisten Gesprächen, Diskussionen und Veröffentlichungen darum, dass Menschen als Flüchtlinge zu uns kommen und um Asyl, um Schutz vor Verfolgung und Leid bitten.

Was dabei aber sehr oft übersehen wird, ist, dass die allerwenigsten Menschen, die ihre Heimat, ihren Lebensraum verlassen müssen oder wollen, als Asylsuchende in die reichen Länder des Nordens kommen: Neun von zehn Geflüchteten aus dem Globalen Süden suchen Schutz in ihrem eigenen Land oder in einem der Nachbarländer als sogenannte Binnenflüchtlinge.

Damit könnte die Angelegenheit für europäische Politiker*innen erledigt sein. „Man mischt sich doch nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten ein!“ Wenn nicht in zunehmendem Maß die Fluchtursache für zwei Drittel dieser Binnenflüchtlinge der Klimawandel wäre. Wenn nicht die Länder des Globalen Nordens, also wir, die wesentlichen Verursacher dieses Klimawandels wären. Und wenn nicht ausgerechnet wir äußerst beratungs- und überzeugungsresistent gegenüber diesen unleugbaren Tatsachen wären.

Das Beobachtungszentrum für interne Vertreibung in Genf zählt für das erste Halbjahr 2020, dass zwei Drittel der Binnenflüchtlinge vor plötzlich oder langsam einsetzenden Naturkata-strophen fliehen. Zwei Drittel der Menschen flüchten also vor Umweltkatastrophen, ein Drittel vor Krieg und Gewalt.

Die Gründe für die Binnenflucht sind natürlich vielfältig und von Region zu Region unterschiedlich. Neben dem Klimawandel gibt es auch noch die Rohstoffbörsen, wo mit Agrarrohstoffen spekuliert wird und die Preise hochgetrieben werden. Gleichzeitig gibt es ein irres Agrardumping, das mit staatlichen Exportsubventionen die Märkte und Strukturen in den Ländern des Globalen Südens zerstört.

Der Klimawandel gilt zu Recht als Katastrophe, denn er bedroht die Existenz von mindestens zwei Milliarden Menschen im Globalen Süden. Am stärksten von den Folgen betroffen sind also die Bevölkerungsgruppen, die am wenigsten dafür verantwortlich sind.

Die UN-Flüchtlingsschutzkonvention erkennt aber den „Klimaflüchtling“ nicht an, sie oder er hat daher keinen rechtsstaatlichen Schutz. Bisher gibt es auch kein internationales Forum, das sich konkret für die Belange von Klimaflüchtlingen einsetzt. Für „Brot für die Welt“ liegen die Gründe dafür auf der Hand, Zitat: „Bei klimabedingter Vertreibung stellt sich direkt die Frage nach den Verursachern. Das sind die Industriestaaten und Schwellenländer mit hohem CO2-Ausstoß. Die fürchten natürlich jede weitere Verantwortung. Jede Zusage von Unterstützung könnte eine Art Schuldeingeständnis sein – und davor drücken sie sich.“ Soweit Brot für die Welt.

Und genauso drücken sich die Verursacher davor, ernst zu machen mit den Maßnahmen, die die Forderung nach Klimagerechtigkeit in die Tat umsetzen würden. Es ist doch eigentlich alles gesagt, die wissenschaftlichen Erkenntnisse liegen vor, beispielsweise steht es für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung außer Frage, dass der Klimwandel sichtbar im Gang ist, seine Folgen sind unstrittig. Aber es passiert nix bzw. viel zu wenig. Allein schon den Klimawandel als Tatsache anzuerkennen, fällt so vielen Leuten schwer.

Dabei wäre dieses Anerkennen eine grundlegende Voraussetzung, dass wir endlich dahin kommen, dass wir beim Stichwort Flucht auch die Menschen sehen, die vor dem Klimawandel fliehen müssen, jedoch als Binnenflüchtlinge versuchen, sich in ihrem Land oder der kontinentalen Region ein neue Existenz aufzubauen. Wir müssen endlich kapieren bzw. unsere Herzen für die Erkenntnis öffnen, dass der Kampf gegen den Klimawandel ein Kampf für diese Menschen ist, für ihre unveräußerlichen Grundrechte, für ihre Würde, und nicht zuletzt für unsere Würde.

Der Klimwandel setzt einen äußerst komplexen Teufelskreis in Gang:

Lebensraum geht verloren, ist einfach nicht mehr bewohnbar, am deutlichsten wird das, wenn de facto Land im steigenden Meeresspiegel versinkt oder wenn Küsten- und Delta-Regionen dadurch immer häufiger überschwemmt und Ackerflächen durch das salzhaltige Meerwasser zerstört werden.
Wetterextreme zerstören Lebensraum, Ackerfläche, Weidegründe, Infrastruktur. Durch zerstörte Infrastruktur werden Krankheiten und Seuchen begünstigt. Auf zerstörten Äckern kann nichts angebaut werden. Tiere, die kein Futter finden, geben keine Milch, sind keine Nahrungslieferanten. All das zusammen bedingt Ernteausfälle, darauf folgt Hunger.

Wenn sich Ökosysteme – unter anderem durch Wetterextreme – verändern, schrumpft die Artenvielfalt, dadurch wiederum sinkt die Bodenqualität, Bodenerosion und Schädlinge nehmen überhand, die Folge sind Ernteausfälle, darauf folgt ebenfalls Hunger.

Es endet alles in einem Phänomen: Hunger. Wo nichts mehr zu essen produziert werden kann, wo es kein Essen mehr gibt, dort kann niemand bleiben. Ob der Hunger gestillt werden kann, wenn diese Menschen dann nach wochenlangen Trecks an Orten ankommen, an denen die Ernährungssituation schon vor ihrer Ankunft schlecht ist? Versorgungsengpässe sind vorprogrammiert, in der Konsequenz entsteht erneuter Hunger. Es ist eine Teufelsspirale.

Und es gibt ja auch noch diejenigen, die nicht fliehen können, denen die finanziellen Mittel fehlen, um den unmöglichen Lebensbedingungen den Rücken zu kehren, oder die, die körperlich nicht in der Lage sind zu fliehen, etwa aufgrund von Alter oder Krankheit. Sie bleiben zurück und verhungern schlichtweg.

Jean Ziegler war von 2000 bis 2008 der erste UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, sein Kampf war und ist der Kampf gegen den Hunger. Er hat seine Vorträge oft damit beendet, dass er vorrechnet, dass alle 5 Sekunden ein Kind unter 10 Jahren an Unterernährung stirbt, also verhungert, und wieviele Kinder während seiner Redezeit verhungert sind. Und er sagt im selben Atemzug: „Ein Kind, das heute an Hunger stirbt, wird ermordet.“ Während meiner Redezeit heute hier, das waren ungefähr 6,5 Minuten, sind 80 Kinder verhungert.

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